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Das Thomasevangelium

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Vorbemerkung:

Das Thomasevangelium dürfte einer der wenigen Texte sein in denen man authentische Aussagen von Jesus findet. Als ich es das erste Mal zu Gesicht bekam überfiel mich ein regelrechter Feuereifer und ich las es in einem Zug durch. Viele der Aussagen sind aber nur verständlich wenn man in der Gedankenwelt der Gnosis zu Hause ist und die geistigen Veränderungen die in den „Sprüchen“ beschrieben werden bereits selbst erlebt hat. Ich unterstelle bei meinen Interpretationen zunächst einmal, dass es sich tatsächlich um Worte von Jesus handelt zu denen wir nur noch nicht den Zugang gefunden haben weil er seine Botschaften verschlüsselt hat oder sie aus einer „Bewusstseinsstufe“ stammen die wir in der Vergangenheit noch nicht erreicht hatten. Ich bin aber davon überzeugt, dass wir die Sprüche dieser Sammlung jetzt verstehen können und dass sie genau dazu solange für uns aufbewahrt worden sind.

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001) Dies sind die geheimen Worte, welche „Jesus der Lebendige“ sprach, und welche Judas Thomas – genannt Zwilling – aufgeschrieben hat. Und Jesus sprach: Wer die Bedeutung dieser Worte versteht, der wird den Tod nicht schmecken.

Dieser Einleitungsspruch ist ja bereits so sensationell, dass man eigentlich gar nicht darum herum kommt ihn zu deuten, denn es wäre doch eine Sensation, wenn man „den Tod nicht schmecken“ müsste, bloß weil man diesen Text versteht! Angeblich sollen diese Sprüche von Thomas – genannt Zwilling – aufgeschrieben worden sein. Es gibt viele Versuche den Namen eindeutig mit einer Person zu verbinden und ich kann hier nur auf die besonders innige Verbindung des Apostels Thomas mit Jesus hinweisen, denn da gab es fast so eine Art Vater-Sohn Verhältnis von Jesus zu seinem Jünger und dieser folgte ihm auch bei seinem Weggang an „Christi Himmelfahrt“. Das Thomasevangelium dürfte daher während eines Aufenthaltes in der syrischen Stadt Damaskus entstanden sein, denn es gibt weitere Quellen die auf eine längere Anwesenheit der beiden in Damaskus schließen lassen.

Und Jesus sprach: Wer die Bedeutung dieser Worte versteht, der wird den Tod nicht schmecken.

Von Jesus wissen wir, dass er seine Kreuzigung überlebte, aber er wird ja kaum so naiv gewesen sein, diesen Vorgang ganz real auf jeden Menschen zu übertragen, bloß weil dieser einen Text begreifen kann. Daher meine ich, dass wir uns die Frage nach dem „Geschmack des Todes“ stellen sollten und wir den Text vor allem geistig begreifen müssen. Der Gedanke an den Tod löst bei den meisten Menschen Ängste aus die ein ganzes Leben deformieren können. Aus Angst vor dem Tod begehen Menschen die furchtbarsten Taten und entwürdigen sich selbst. Genau das aber muss nicht sein, denn wer zur Einheit mit Christus gelangt ist, versteht zum einen die Sprüche des Thomasevangeliums und hat zum anderen die Angst vor dem Tod verloren. Der biologische Tod stellt für die Seele nur den Übergang in eine andere Welt dar aus der man irgendwann wieder auf die Erde zurückgelangt. Wenn man das erkannt hat verliert der Tod seinen bitteren Geschmack und die Einleitungsaussage von Jesus gewinnt ihren Sinn!

002) Jesus sprach: Wer sucht, der wird finden. Wer an das Innere pocht, dem wird geöffnet. Wer sucht, der suche weiter, bis er findet. Wenn er findet, wird er entsetzt sein, und wenn er entsetzt ist, wird er sich wundern. Über das All wird er herrschen und Ruhe finden.

Dieser Satz hat es bereits zu einer gewissen Bekanntheit gebracht und er ist insofern auch besonders, als er wohl auf einzigartig kurze Weise den Weg zu Erleuchtung beschreibt. Jesus erklärt, dass man in sich selbst suchen muss und dass die Suche nicht nach dem ersten „Erlebnis“ beendet werden darf, sondern dass man weitersuchen soll. In der Sprache der Gnosis wird häufig von 2 Türen gesprochen die man durchschreiten muss und tatsächlich beginnt das „große Entsetzen“ erst so richtig wenn man die zweite Tür auch durchschritten hat. Man kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus wenn man von der göttlichen Weisheit kosten darf und Ruhe tritt erst ein, wenn man „das All“ verstanden hat und eben die Schöpfung – ZION, die beiden Geister – begriffen hat. Man herrscht über sich selbst, man beherrscht mit dem Verstand und dem Herzen die Schöpfung und genau dann gibt es nichts mehr was einen Menschen aus seiner Mitte drängen könnte, was ihm die Ruhe rauben könnte. Wahrlich, dieser zweite Spruch beinhaltet bereits die Essenz der ganzen Spruchsammlung.

003) Jesus: Wenn die euch verführen, sagen: Seht, das Reich ist oben im Himmel! Und sie hätten recht, dann kämen euch die Vögel am Himmel zuvor. Und wenn sie sagen: Sehet, das Reich ist unten im Meer! Und sie hätten recht, dann kämen euch die Fische im Meer zuvor. Denn das Reich ist in eurem Innern, und es ist auch außerhalb von euch. Indem ihr euch erkennt, werdet ihr erkannt, und ihr erkennt, dass ihr die Kinder eines lebendigen Vaters seid. Aber erkennt ihr euch nicht, dann bleibt ihr in eurem Elend und seid das Elend selbst.

Dieser Spruch ist weitgehend selbsterklärend aber ich will die Gelegenheit nutzen auf die grundsätzliche Gefahr von „verführerischen Aussagen“ hinzuweisen. Das Reich Gottes ist nun mal eben nicht „hier“ oder „dort“ zu finden, egal wie verlockend einleuchtend solche Aussagen von Priestern oder Schriftgelehrten auch immer klingen mögen. Gott ist nicht „in den Schriften“ und wird durch keine Religion beschrieben. Es kommt nicht einmal auf den Inhalt der Aussagen an, weil allein das Ansetzen zu einer solchen Aussage bereits der Versuch ist, etwas vorzuschreiben und festzulegen was ganz und gar ein intimer innerlicher Vorgang ist. Wie köstlich aber ist es wenn man sich gemeinsam auf den Weg begibt das Innere zu erkunden, sich einander bis in die tiefsten Winkel der eigenen Seelen Einblick gibt und lieben lernt! Immer größere „Welten“ im Inneren entdeckt man dabei und erkennt zudem das Wirken von IHM in allen Lebenslagen. Man versteht immer mehr von sich selbst und spürt wie ER uns von innen her leitet und „erkennt“, wobei Er uns natürlich schon immer kennt! Man erkennt aber auch, dass wir in der Schöpfung unserer lebendigen Mutter leben, inmitten Seiner Vorhersehung, umgeben von Fügungen und kostbaren Einsichten die uns wiederum immer tiefer zu uns selbst führen. Der Weg ist das Spannende, die Suche das Göttliche, die Reifung der Seele durch fortwährenden Erkenntnisgewinn das Erfüllende. Findet man nicht auf diesen Weg der Selbsterkenntnis bleibt die eigene Persönlichkeit ein flaches Abziehbild von sich selbst, ein verzerrtes, ichbezogenes „Etwas“, das von den anderen nur schwer zu ertragen ist und um dessen Elend man nur jammern kann.

004) Jesus: Zögert ein hochbetagter Mann nicht, ein kleines Kind von sieben Tagen nach dem Ort des Lebens zu fragen, so wird er leben. Denn viele Erste werden Letzte sein, aber sie werden alle zu einem werden.

Gottes Herrlichkeit ist ganz besonders gerade an Neugeborenen zu sehen, ihre Reinheit und Unverfälschtheit macht sie zu einer Quelle göttliche Lichts und wer genau hinschaut bekommt zur „Belohnung“ fast immer einen „Engelsblick“ aus dem er einen kleinen Hinweis für sich selbst entnehmen kann. Wie dumm verhalten sich dagegen die „Ersten“ unserer Gesellschaft, die ihre eigene Bedeutung, ihre Geschäfte, ihre Politik und Meinung für wichtiger erachten als den Moment der innerlichen Verschmelzung mit einem Neugeborenen. Ja, sie müssen sich hinten anstellen, sie werden wirklich die Letzten sein die begreifen wo die Quelle des Lebens zu finden ist. Und dennoch werden eines Tages alle Menschen zu einem großen „Körper“ vereint sein, wird auch der letzte „Erste“ als letzter zur Reinheit gefunden haben.

005) Jesus sprach: Erkenne, was dir vor Augen liegt, und was dir verborgen war, enthüllt sich dir! Denn nichts ist verdeckt, das nicht entdeckt würde, und nichts liegt begraben, das nicht erweckt würde.

Nichts ist so erstaunlich wie die Veränderung des eigenen Bewusstseins zu erleben. Auf dem Weg zu Gott aber durchläuft man einen Prozess der ständig zu einer Vergrößerung der eigenen Denk- und Wahrnehmungsfähigkeit führt. Völlig verblüfft stellt man fest, dass man plötzlich den tieferen Sinn von „heiligen“ Schriften erkennen kann obwohl man diese doch schon seit vielen Jahren vor Augen hatte. Man entdeckt zudem auch Zusammenhänge die man niemals für möglich erachtet hätte, und lernt auch das „Sehen“ auf die Seele anderer Menschen. Auf einmal werden Personen wieder lebendig, ja man erkennt die eigene und auch deren Lebensspur durch die Jahrtausende des Heilsplanes und wenn man nur lange genug sucht dann bleibt keine Frage unbeantwortet und nichts mehr in der Vergessenheit begraben. Es ist so unglaublich aufregend und verändert zudem nicht nur die Sichtweise, sondern auch die innere Haltung und letztendlich das eigene Verhalten. Und wenn es auch unglaublich erscheinen mag, so ist am Ende des Weges ein Mensch wie neu geboren, hat einen neuen, reinen Geist vor dem sich nichts mehr verborgen halten kann, in dem aber auch nichts mehr verborgen werden braucht. Er ist rein!

006) Seine Schüler baten und fragten Jesus: Willst du, dass wir fasten? Wie sollen wir beten und Spenden geben? Was für Nahrung sollen wir zu uns nehmen und welche meiden? Er aber antwortete: Sprecht keine Lügen und tut nicht, was ihr verabscheut; denn alles ist offenbar im Angesicht des Himmels; denn es gibt nichts Verborgenes, das nicht offenbar werden wird, und es gibt nichts Verborgenes, das bleibt, ohne offenbar zu werden.

Es klingt fast ein wenig kurz angebunden wie Jesus da antwortet. Immer wieder fragen seine Jünger nach Regeln an denen sie sich orientieren könnten, aber Jesus lehrte überhaupt keine Regeln, sondern führte seine Jünger bis zu ihrem Osterfest, dem Beginn der langen Reise zu sich selbst. „Mein Gott“, höre ich ihn sprechen, „belügt euch nicht sondern verhaltet euch wie Menschen! Was soll eure Fragerei, könnt ihr denn nicht selbst denken?“

Es ist die uralte Auseinandersetzung zwischen innerer Religiosität und äußerer Religion. Die damalige Religion versuchte das Leben durch tausende Regeln und Vorschriften zu reglementieren und die Einhaltung durch drakonische Strafen zu erzwingen. Mit gelebter Religiosität aber hatte das absolut nichts zu tun. Daher will Jesus solche Fragen auch gar nicht direkt beantworten, will zudem überhaupt keine neuen Regeln einführen sondern die Menschen zu innerer Reinheit vor Gott führen, aus der heraus sie dann sowieso wissen was gut und was böse ist. Daher hat er die meisten seiner Botschaften eben auch als Gleichnisse erzählt um das Gespür der Menschen für Gut und Böse zu schärfen und es ihnen selbst zu überlassen dies dann in der jeweiligen Lebenssituation zu entscheiden. Wer reinen Herzens ist braucht überhaupt keine Regeln, weil er sowieso nur in Seinem Sinne handelt. Vor Gott kann man zudem nicht im Verborgenen handeln und was immer man meint verborgen tun zu können wird eines Tages offenbar werden!

007) Jesus: Selig ist der Löwe, den der Mensch isst. Dadurch wird der Löwe Mensch. Aber elend ist der Mensch, den der Löwe frisst. Dadurch wird der Mensch zum Löwen. 

An diesem Spruch ist leicht ersichtlich, dass es sich um eine symbolische Erzählung handeln muss, denn wer wollte schon einen Löwen essen damit dieser selig werden kann?! Zunächst erscheint der Satz unverständlich aber das ändert sich sofort wenn man anstelle des Wortes „Löwe“ die Worte „das Tier im Mann“ – oder auch Frau – setzt und man damit den ungehemmten Sexualtrieb meint. Das „Essen“, d.h. die Verinnerlichung kann man dann als die Integration des „Löwen“ in die Persönlichkeit, das „Fressen“ aber als die Unterwerfung unter die Triebhaftigkeit deuten. Wenn man den Satz wie folgt übersetzt wird er völlig klar.

„Wundervoll ist die Sexualität die dem Menschen dient, denn sie gehört zum Menschen wie die Liebe, aber wehe dem Mensch der sich von seiner Triebhaftigkeit beherrschen lässt!“

008) Jesus: Der Mensch gleicht einem klugen Fischer, der sein Netz ins Meer warf und es voll kleiner Fische aus dem Meer zog. Unter ihnen fand der kluge Fischer einen großen guten Fisch. Da warf er alle kleinen Fische zurück ins Meer, und behielt ohne lange zu überlegen, nur den großen Fisch. Wer Ohren hat zu hören, der höre. 

Diese Vorgehensweise erscheint zunächst nicht ganz logisch doch man versteht sie, wenn man die Metapher „Fisch“ in etwa mit „Lebensweisheit“ übersetzt. Natürlich gibt es in vielen Denkschulen oder Religionen Weisheiten die man auch zur Lebensführung heranziehen kann, aber wenn man den „Eingang ins Licht“ – den ganz großen Fisch – gefunden hat, dann verlieren alle vorher gesammelten „Lebensweisheiten“ an Wert, denn nun eröffnet sich eine ganz neue Welt für die man ohne zu zögern alles Vorherige aufgibt.

009) Jesus: Seht, der Sämann kam heraus, füllte seine Hand und warf aus. Einige Körner fielen auf den Weg. Es kamen die Vögel und pickten sie auf. Andere Körner fielen auf Felsen, weshalb sie keine Wurzeln hinab in die Erde und keine Ähren hinauf in die Höhe trieben. Noch andere fielen in die Dornen, wo sie im Keim erstickten, sowie von den Würmern gefressen wurden. Wieder andere fielen auf gutes Land, wo sie gute Frucht brachten sechzigfach und hundertundzwanzigfach.

Dieses Gleichnis ähnelt sehr stark den Gleichnissen der kanonischen Evangelien und wohl jeder hat schon einmal Predigten über diese Zeilen gehört. Drangen sie aber wirklich zu uns? Haben wir sie nicht meist an uns abperlen lassen? Es sind vor allem die Worte Jesu die aufgenommen werden, wirklich verinnerlicht werden müssen damit sie ihre heilsame Wirkung entfalten können. Brot und Wein als Symbole seines Wesens, seiner Art „einzunehmen“ mag vielleicht zu einem Moment innerer Einkehr verhelfen, aber es ist das Wort, und vor allem der Sinn seiner Worte die im eigenen Geist Platz greifen müssen. Dann aber können an ihnen ganze Völker gesunden denn das Wort erschuf die Welt, das Wort erschuf unsere Körper und Seelen und das Wort kann diese auch wieder zur Gesundheit führen!