Archiv der Kategorie: D – Thomasevangelium

020) Die Schüler baten Jesus: Sage uns, wie das Himmelreich aussieht! Er sprach zu ihnen: Gleich einem Senfkorn ist es kleiner als alle anderen Samen. Wenn es aber auf Land fällt, das man bebaut, dann treibt es einen großen Spross empor und wird zum Schutz für die Vögel am Himmel.

Das Reich Gottes ist weder „hier“ noch „dort“ sondern es entfaltet sich im Bewusstsein der Menschen, zunächst bei jedem Einzelnen und natürlich auch im kollektiven Bewusstsein. Die Metapher des Senfkornes das zu einem großen Schutzbaum für die Vögel heranwächst ist sehr schön gewählt und auch in unserer Zeit noch treffend und leicht verständlich.

021) Maria sagte zu Jesus: Wem gleichen deine Jünger? Er sagte: Sie gleichen kleinen Kindern, die sich auf ein Feld gesetzt haben, das ihnen nicht gehört. Wenn aber die Eigentümer kommen und sagen: Verlasst unser Land, dann sind sie vor denen nackt, und müssen denen ihr Feld überlassen. Und ich sage euch, Wenn der Hausherr erfährt, dass sich ein Dieb nähert, so wird er wachen und ihn zum Schutz seines Eigentums nicht in sein Haus eindringen lassen. Ihr aber wacht gegenüber der Welt. Gürtet euch um eure Lenden mit großer Kraft, damit die Räuber keinen Weg zu euch finden. Denn man wird die Frucht, die ihr erwartet, auf jeden Fall zu finden wissen. Mögen also unter euch verständige Menschen erstehen, die bei der Fruchtreife für die Ernte schnell mit der Sichel zur Hand sind. Wer Ohren hat zu hören, der höre.

Auch diesen Spruch möchte ich in zwei Teilen interpretieren.

  1. Teil:

Maria sagte zu Jesus: Wem gleichen deine Jünger? Er sagte: Sie gleichen kleinen Kindern, die sich auf ein Feld gesetzt haben, das ihnen nicht gehört. Wenn aber die Eigentümer kommen und sagen: Verlasst unser Land, dann sind sie vor denen nackt, und müssen denen ihr Feld überlassen.

Dieses Gleichnis kann man ungefähr so verstehen, dass die Jünger zwar die Worte von Jesus bereits zigmal gehört haben, sie vielleicht sogar weitererzählen können, aber ihr Geist hat sich ihnen noch lange nicht geöffnet, sie haben sie noch nicht verinnerlichen können, sie „gehören“ ihnen nicht wirklich. Kämen andere mit Verstand müssten die Jünger nämlich ihre Plätze als „erste Jünger“ räumen.

  1. Teil:

Und ich sage euch, Wenn der Hausherr erfährt, dass sich ein Dieb nähert, so wird er wachen und ihn zum Schutz seines Eigentums nicht in sein Haus eindringen lassen. Ihr aber wacht gegenüber der Welt. Gürtet euch um eure Lenden mit großer Kraft, damit die Räuber keinen Weg zu euch finden. Denn man wird die Frucht, die ihr erwartet, auf jeden Fall zu finden wissen. Mögen also unter euch verständige Menschen erstehen, die bei der Fruchtreife für die Ernte schnell mit der Sichel zur Hand sind. Wer Ohren hat zu hören, der höre.

Hier macht Jesus einen weiten Sprung nach vorne in die Jetzt-Zeit, die Zeit der Ernte. Als Hausherrn bezeichnet Jesus jetzt denjenigen der bei Licht und Verstand ist und der sich von nun an den Anfeindungen seiner Mitmenschen ausgesetzt sieht. Die Räuber versuchen nämlich mit allen Mitteln das Licht wieder zu löschen, versuchen mit verdrehter Logik in den Geist – das Eigentum des Hausherrn – einzudringen um es zu stehlen und zu löschen. Die Gefahr ist wirklich gegeben und darum wünscht Jesus, dass zur Zeit der Ernte viele Helfer da sein mögen um die Ernte schnell einzubringen.

022) Jesus sah, wie Babys die Brust bekamen. Darauf sprach er zu seinen Schülern: Diese Säuglinge gleichen denen, die ins Reich kommen. Sie fragten ihn: Indem wir also uns klein machen, kommen wir ins Reich? Jesus aber sprach zu ihnen: Wenn ihr aus zwei eins macht; wenn ihr das Innere wie das Äußere, das Äußere wie das Innere und das Obere wie das Untere macht; wenn ihr Mann und Frau vereinigt, so dass der Mann nicht Mann und die Frau nicht Frau bleibt; wenn ihr mit neuen Augen seht, mit neuen Händen handelt, mit neuen Füßen geht und ein neues Bild aus euch macht – dann kommt ihr ins Reich.

Dieser Spruch ist gefundenes „Fressen“ für diejenigen die bereits den Weg zu Erleuchtung gehen und ihre geistige Konversion in diesen Metaphern beschrieben sehen. Für „erwachsene  Menschen“ alter Denkart scheint es völlig unbegreifbar, wie man denn in eine Haltung vor Gott kommen soll die einem Säugling an der Brust der Mutter gleicht. Aber die Lösung wird ja gleich mitgeliefert nur wird diese noch weniger verstanden als die Metapher zuvor. Es handelt sich nämlich um den Vorgang der inneren Verschmelzung von Animus- mit Anima-Seele, wenn die vorher gespaltene Persönlichkeit zu einer mannweiblichen Einheit integriert wird. Tatsächlich findet sowohl Mann als auch Frau genau diejenigen Anteile ihrer Seele die verloren gegangen waren und es entsteht ein Mensch der den Gedankengängen und den Gefühlen des anderen Geschlechts folgen kann, der sich vollständig „geschlossen“ fühlt. Dann handelt man mit „neuen Händen“, wandelt auf „neuen Füßen“ und gelangt in Sein Reich!

023) Jesus sprach: Ich suche euch aus, einen unter tausend und zwei unter zehntausend, und sie stehen da wie nur einer. 

Kurz und bündig erklärt Jesus, dass er zunächst nur ganz wenige zu sich ruft, diese aber letztendlich wie ein Einziger „sprechen“ werden. Es ist eine ganz erstaunliche Beobachtung, dass es auf dem Weg zur Erleuchtung selbst kurz vor dem Erreichen des Ziels mannigfache Vorstellungen gibt, wie denn die Schöpfung aufgebaut ist, aber wenn man den Zustand der Erleuchtung erreicht hat, lösen sich diese alle in Luft auf. Sie haben keine Bedeutung mehr, man wird mit seinem Nächsten EINS!

024) Seine Schüler baten: Zeig uns den Ort, wo du bist! Denn den müssen wir suchen. Er antwortete: Im Innern des aus dem Licht stammenden Menschen leuchtet ein Licht, und es erleuchtet die ganze Welt. Wenn dieses Licht nicht leuchtet, herrscht Finsternis.

Hier wird erneut offensichtlich, dass seine Schüler eben noch „außenorientiert“ denken anstatt geistig. Jesus befindet sich in einem anderen Bewusstseinszustand als seine Jünger und weiß, dass sein Licht eines Tages die ganze Welt erleuchten wird. Das ist kein „Ort“ im geographischen Sinne, das ist ein geistiger Zustand. Wo dieses Licht – sein Geist, sein Bewusstsein, seine Liebe – nicht leuchtet herrscht eben Finsternis. Aber das Licht ist ansteckend, es lässt sich weitergeben, auch wenn es noch so lange dauern sollte. Jetzt aber hat das Licht die Kraft gewonnen sich zum Flächenbrand auszuweiten und jeder der es schon hat, weiß wovon ich hier schreibe. Die Wortwahl dieses Spruches ist zudem wunderschön und wird in der heutigen Zeit zunehmend Verbreitung finden.

025) Jesus: Liebe deinen Bruder wie deine Seele! Hege ihn wie deinen Augapfel!

Diese zentrale Botschaft Jesu kennt jeder Christ aber offensichtlich wird keine seiner Aussagen so rücksichtslos und konsequent nicht befolgt wie diese!  So ziemlich alles tun Menschen um „christlich“ zu erscheinen, sie beten und spenden, sie fasten und entsagen, missionieren und organisieren, nur lieben, lieben tun sie nicht! Zwar wird über die Liebe schier endlos viel geredet aber schaut man genauer hin, dann ist es nur Gerede, denn die Liebe die Jesus hier anmahnte ist eine „geschwisterliche“, eine selbstlose Liebe. Je eingehender man sich aber mit dem „Wesen Mensch“ beschäftigt desto klarer wird, dass die Menschen diese Art Liebe die Jesus hier einfordert im Zustand der „Lichtlosigkeit“ schlicht und ergreifend nicht schenken können, sie sind dazu auch bei allerbesten Vorsätzen nicht in der Lage. Hat man das begriffen, dann fordert man diese erst gar nicht mehr ein sondern konzentriert sich darauf mit der eigenen Liebe Menschen zu heilen und sie ins Licht zu führen!

026) Jesus: Den Splitter im Auge deines Bruders siehst du. Den Balken aber vor deinen Augen siehst du nicht. Wenn du den Balken vor deinen Augen wegnimmst, dann siehst du genug, um den Splitter aus dem Auge deines Bruders zu ziehen.

Kaum eine menschliche Neigung ist so ausgeprägt wie die Neigung andere Menschen zu kritisieren und nichts ist zugleich so sinnlos und Zeit vergeudend! Wer Menschen „ändern“ möchte, der sollte sie von der Ursache ihrer „Fehlhaltung“ befreien und das geht nun einmal nur über einen therapeutischen Heilungsvorgang. Dazu aber ist man erst in der Lage wenn man sich selbst von den Verletzungen der eigenen Seele befreit hat. Im Zustand der Reinheit aber kann man dann auch noch die feinsten Splitter aus dem Auge seines Bruders ziehen, d.h. die verborgenen Wunden der Seele seines „Bruders“ oder „Schwester“ heilen.

027) Jesus: Wenn ihr euch nicht der Welt enthaltet, werdet ihr das Reich nicht finden. Wenn ihr den Sabbat nicht wirklich zum Sabbat macht, werdet ihr den Vater nicht sehen.

Dieser Spruch wirkt zunächst abschreckend, er scheint den Asketen und  Büßern das Wort zu reden, und rät zu einem Entsagen der irdischen Freuden. Aber weit gefehlt, so hat Jesus das mit Sicherheit nicht gemeint! Das „Reich Gottes“ findet man in sich selbst und darum muss man sich bei der Suche eben nach innen wenden, man muss auch mal die Freizeit, den Sabbat, wirklich dazu nutzen in sich selbst zu suchen und seine ganze Konzentration dorthin lenken. Klar, in dieser Zeit der Suche sind die wunderschönen Dinge der realen Welt eben ablenkend und man kommt nicht richtig weiter wenn man seinen Geist nur auf der Lebensoberfläche festbindet. Hat man aber hingefunden, hat man das „Reich Gottes“ in sich gefunden, dann sollte man sich sogar ganz unbedingt wieder der Welt zuwenden, mit beiden Händen nach den Kostbarkeiten der Schöpfung greifen und das Leben so intensiv wie möglich leben!

028) Jesus: Ich stand mitten in der Welt und erschien ihnen im Fleisch. Alle fand ich trunken, keinen durstig, und meine Seele leidet um die Menschenkinder. Denn blind sind sie in ihrem Herzen und sehen nicht, dass sie leer in die Welt gekommen sind und alles tun, um leer wieder aus der Welt zu gehen. Noch sind sie trunken. Erst wenn sie ihren Wein ausgeschieden haben, werden sie sich bekehren.

Der Spruch ist offensichtlich nach „Christi Himmelfahrt“, vermutlich direkt an Thomas, gesprochen und Jesus zeigt uns wie sehr er darunter leidet, dass er das große Aufwachen nicht hinbekommen hat. Diesen Satz: „Denn blind sind sie in ihrem Herzen und sehen nicht“, kann heutzutage jedes „Kind des Lichtes“ genauso sprechen während die „Blinden“ nicht wissen was sie denn nicht „sehen“ könnten. Es gibt also etwas das den „Blinden“ diese Sicht verwehrt und das nennt Jesus „Trunkenheit“. In der Sprache der Psychologie sollte man besser von „neurotischen Störungen“ sprechen die die Menschen in ihren Denkbahnen „trunken“ machen, sie dort festhalten und ihnen den Schritt ins Licht verwehren. Wir wissen heute längst, dass es daher lediglich der „psychischen Heilung“ bedarf um die Voraussetzung für den Schritt ins Licht zu schaffen. Dort aber wartet „Reichtum“ für die Seele und die Leere verschwindet für immer.

029) Jesus: Ist das Fleisch für den Geist da, dann ist es ein Wunder, und ist der Geist für den Leib da, dann ist er das Wunder eines Wunders. Ich aber wundere mich, wie sich ein solcher Reichtum in einem solchen Elend niedergelassen hat.

Jesus spricht hier auf die Wechselwirkung von Körper und Geist an. Heute weiß eigentlich jeder, dass körperliche „Wohltaten“ unmittelbar auch das geistige Wohlbefinden verbessern und als „Wunder“ sehen wir das heute nicht mehr an. Ebenso bekannt ist der umgekehrte Vorgang, dass eine seelische Gesundung mittelbar auch eine körperliche Gesundung von neurotisch bedingten Erkrankungen nach sich zieht. Jede „Geistheilung“ basiert auf dieser Erkenntnis, aber damals war das kaum bekannt. Genau darum spricht Jesus den erschütternden Satz aus: „Ich aber wundere mich, wie sich ein solcher Reichtum in einem solchen Elend niedergelassen hat.“, denn trotz dieser für ihn so offenkundigen „Reichtümer“ die uns Gott in der Schöpfung für unser Heil mitgegeben hat lebten die Menschen seiner Zeit im Elend, körperlich und seelisch!